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Dienstag, 6. September 2011

Harvey's neue Augen




Du sollst deine Zeit nicht mit Reviewlesen verschwenden!

Daedalic Entertainment - mittlerweile ist dieser Entwickler & Publisher zugleich bestimmt ein Begriff für den geneigten Point- & Clickadvent'ler. Immerhin sind die Jungs aus Hamburg maßgeblich an einer gelungenen Wiederauferstehung des Rätselflairs aus den Adventureboomenden Anfangszeiten von Amiga & PC verantwortlich. Kein anderer Entwickler versteht es sowohl kreative, als auch interessante und zugleich sehr witzige Spiele zu entwickeln, die meist aufgrund ihrer Thematik oder Grafik einfach "anders" sind. Sodass man sich an sie erinnert.
"The Whispered World", "1/2 Ritter" (Adventure zum Film mit Til Schweiger) oder jüngst "A New Beginning" (mit einem vergleichsweise ernstem Flair) bewiesen was die Jungs drauf haben. Aber eins bleibt darf man nicht vergessen: ihr Erstlingswerk von 2008 - "Edna bricht aus", in dem eine hübsche junge Dame aus einem Irrenhaus ausbrach - selbst war sie durchgeknallt, aber noch längst nicht so verrückt wie sie der gemeingefährliche Doc sie hinzustellen versuchte.
Und damals hatte sie in Begleitung einen blauen Stoffhasen, der mit ihr sprach - sein Charakter ist am ehesten mit dem Max (von "Sam & Max") zu vergleichen: schwarzer Humor, draufgängerisch, erfinderisch.
Und dieser Hase hieß... Harvey.



Du sollst nicht lügen!

HEY! Hab' ich doch garnicht. Deshalb ist er ja auch auf dem Titelcover von "Harveys neue Augen". Doch was dieser Titel bedeutet und was für ein zentrales Hilfselement euch da die ganze Zeit begleitet, wird euch erst später klar. Jedenfalls erwartet euch ein vergleichsweise leider kurzes Adventure im selben Grafikstil wie "Edna bricht aus". Toll ist, dass die Geschichte NACH den Ereignissen des Vorgängers spielt und dass man einige bekannte Gesichter wieder sieht (cool: es sind allesamt oft nur Nebencharaktere, sodass man hier keine Fans unbedingt befriedigen musste, sondern den eigenen Ideen freien Lauf ließ).
Das Tolle an diesem Teil ist, dass er besser als sein Vorgänger ist - meiner Meinung nach. Die Geschichte hat einen sauberen Spannungsbogen mit nur einem klitzekleinen Gefälle im letzten Kapitel (es gibt insgesamt 3) - und wird richtig gut erzählt. Was ich noch garnicht erwähnt habe: anders als vielleicht vermutet, spielt ihr in diesem Teil weder "Harvey", noch "Edna", sondern "Lilly", das braveste Mädchen der ganzen Welt.
Zumindest auch das Mädchen, was von allen am fiesesten behandelt wird. Denn Lilly lebt im Kloster mit anderen schwer erziehbaren Jugendlichen. Also quasi eine Miniklapsmühle im Vergleich zu Teil eins. Die Obernonne ist dabei äußerst gemein zu ihr, hält sie für unfähig & verbietet ihr ständig irgendwelche Sachen zu tun.
Lilly ist sogar so eingeschüchtert, dass sie im ganzen Spiel nicht ein ganzes Wort ausspricht, sondern lediglich Laute murmelt oder Wortsilben anbricht - bevor die professionell vertonten einzigartigen NPCs dazwischenquatschen, schon erahnen was sie per Dialogoption ansprechen wollte und einfach losplappern. Meist fragen sie nach, ob Lilly das wirklich meinte - und die Kleine nickt oder schüttelt dazu schüchtern den Kopf.
Wie man sieht eine sehr individuelle Charakterzeichnung, die es so noch in keinem anderen Adventure gab. Doch wie betrachtet Lilly Objekte und gibt dazu einen Kommentar ab?
Dafür ist der Erzähler da.



Du sollst kein Alkohol trinken!

Der Erzähler ist ähnlich wie in Bastion pures Gold wert. Eine sehr gute hörenswerte Stimme - und dazu ein zielsicherer genialer Humor. Meist rabenschwarz spricht er meist in kindererklärender Weise - und füllt jede Zeile mit einem dicken Augenzwinkern. Selten habe ich so gründlich alle auch überflüssigen Objekte betrachtet oder mit Gegenstandkombinationen neue Textzeilen auslösen wollen. Aber auch abseits davon fetzt es die irren Erlebnisse auf ihrer Reise - ein Wiedersehen mit Droggelbecher gibt es übrigens auch. Ganz große Klasse.
Jedenfalls will Lilly Edna, die auch im Kloster lebt und dort ausbrechen will (jawoll - das liegt in ihrer Natur), unterstützen dem bösen Doc aus dem Wege zu gehen. Dabei wird Edna leider gefangen und zurück in die Irrenanstalt aus Teil 1 gesperrt. Lilly muss sie befreien - doch leider hat der Doc auch bei ihr einen fiesen Plan und der bedeutet, dass eine modifizierte Harvey-Hypnopuppe jeden Schritt von Lilly verfolgt. Sogenannte Verbote wie "Du sollst nicht mit Feuer spielen!" oder "Du sollst nicht spitze Gegenstände benutzen!" kontrollieren fortan Lilly's Leben - verstößt sie mit einer entsprechenden Interaktion iiiiiiiiiirgendwo in der Umwelt gegen eines der Gebote, taucht blitzschnell der Harvey-Roboter auf und erinnert sie daran. Das geht ihr ziemlich schnell auf die Nerven und sie muss sich und den Roboter in Hypnose versetzen, um in ihrer Psyche einen Beweis zu "errätseln", dass es doch manchmal gut es eine Ausnahme zu machen. Es gilt in diesen Traumwelten stets den als entsprechende Gefahr dargestellten Harvey zu besiegen. Danach könnt ihr in der Welt eine eurer Verbote aufheben - aber nur 1 gleichzeitig. Falls also etwas zu machen ist, müsst ihr entweder die Fähigkeit erst erwerben (an vordefinierten Stellen erst möglich) oder ihr müsst nur umswitchen, falls ihr sie schon habt. Problem: diese an sich interessante Funktion nervt im dritten Kapitel zwecks Ausprobieren mehr als sie Spaß bringt. Weiterhin sind die Lösungen dafür zu offensichtlich - weswegen man sich das hätte sparen können. Das erst kürzlich erschienene "Haunted" hatte ein ähnliches Prinzip, machte aber mehr Sinn & Spaß in dieser Angelegenheit.



Du sollst nicht wütend werden!

Ihr steuert Lilly übrigens ganz normal rein mit der Maus durch die 2D-Comicwelt, wobei die "Leertaste" den Standort aller Hotspots verrät. Das erleichtert genauso wie die durch einen Klick einzeln überspringbaren Textpassagen den Spielfluss. Mit Objekten selbst interagiert ihr mittels Links- oder Rechtsklick - je nachdem, ob gerade mit Links ein "Benutzen / Nehmen" oder mit Rechts ein "Untersuchen" möglich ist (wird angezeigt). Kombinationen im hervorslidenden Inventar sind ebenso möglich. Unwichtige Dialogoptionen werden weggestrichen und per Doppelklick kann die aktuelle Szene blitzschnell gewechselt werden. Einziger Wermutstropfen: das Spiel miniruckelt ein wenig - nachdem Aktionen gestartet oder Szenen gewechselt wurden. Es friert für einen Bruchtteil einer Sekunde ein - was nicht erheblich stört, aber immerhin auffällig ist, da die Animationen ja sonst butterweich ablaufen.
Leider sollte man sich in den Zwischensequenzen auch nichts erhoffen - wer "Edna bricht aus" kennt, weiß, dass hier ein abgehackter Animationsstil vorherrscht, weswegen ich mich persönlich auch nicht so sehr auf das Adventure gefreut habe (was sich als Fehler herausstellte *g*).

Es herrschen viele Kombinationsrätsel vor wie man sie in Adventures kennt, hinzu kommen aber in separaten Fenstern ablaufende "dicke Kopfnüsse". Diese bieten sowohl stets einen "Tutorial"- und "Skip"-Button direkt zu Beginn an, weil man vielleicht nicht auf die Lösung kommt. Bis auf das "Pizza"-Rätsel, was mich außerordentlich verwirrte & sich letztlich nur durch Ausprobieren löste, ließen sich mit ein wenig Gehirnschmalz aber alle lösen. Jedes Rätsel ist von seiner Art her einzigartig - ob man Schach in Form eines Japano-Rollenspiels zockt, bei dem man Angriffe, Magie & Combofähigkeiten wählen kann - oder doch mittels logischen Gleichungen eine ungute Aussage zur guten erklärt - die Entwickler haben sich viel dabei gedacht. Ebenso wie bei Charakteren eben - ein jeder ist interessant, niemand langweilend.



Sonstiges:
  • nervig: das Pre-Intro zeigt quasi nur die Credits und einen Faden, inklusive nervtötender Singerei (dauert einfach zu lang - man weiß nicht, ob es gut ist das Ganze zu überspringen, obwohl man gewillt ist es doch einfach zu tun)
  • interessant: im noch relativ unbedrohlichen ersten Akt wird jedes tödliche Chaos, das Lilly anrichtet, durch Gnome mit pinker Farbe bestrichen - zumindest unterdrückt Lilly's Unterbewusstsein so zerquetschte oder zerfresse Kadaver
  • meine persönlichen Highlights: der Uhu, der IT-Schamane & die Verbotsbekämpfungen in der eigenen Psyche allgemein
  • 3 verschiedene Enden, wobei alle von einer winzigen finalen Entscheidung abhängen - also: schön speichern nachdem ihr Schach spielen wart!
  • die 3 Enden sind ziemlich abrupt und unterscheiden sich nur minimal - das tollste Ende ist aber genauso vorhersehbar wie unpassend und beinhart gewollt lustig - schade
  • die Spielzeit landet bei ungefähr 6 Stunden - vergleichsweise kurz, dazu noch zu leicht im Mittelteil 


Fazit:
Nach "Edna bricht aus" ist nun der direkte Nachfolger "Harveys neue Augen" erschienen, was kein nerviges Sequel, sondern ein eigenständiges & sehr kreatives P&C-Adventure mit neuer und unvergesslicher Protagonistin ist, jedoch seine alten vom Spieler liebgewonnenen Charaktere nicht vergisst. Der ausgezeichnete treffsichere Humor überzeugte mich genauso wie die vielen guten Ideen mit psychologischer Tiefe (könnte durchaus als Studiumarbeit durchgehen). Einzig und allein die leider zu kurze Spieldauer und die leider größtenteils hässliche Comicgrafik mit seinen abgehackten Animationen wissen mich zu vergraulen - aber gereicht hat es zum Glück nicht. Denn: wer darüber hinweg sehen kann, erhält ein Adventure, das man als anspruchsvoller Fan auf jeden Fall neben "The Unwritten Tales", "Runaway" & "Sam & Max" im Regal stehen haben muss.

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